Borderlands 4 – Chaos neu erfunden auf Kairos

Ein neuer Schauplatz, eine alte Lust am Exzess

Nach über tausend Stunden in der Serie, hauptsächlich in Borderlands 2, kenne ich das Erfolgsrezept in- und auswendig: absurde Waffen, laute Charaktere, kooperative Eskalation. Und doch war klar, dass Pandora langsam ausgereizt war. Mit Borderlands 4 wagt Gearbox den dringend notwendigen Sprung auf die neue Welt Kairos. Dieser Planet ist keine Variation der endlosen Wüsten und Ödlande, sondern eine kunstvoll gestaltete Mischung aus futuristischen Metropolen, verwinkelten Dschungeln und verfallenen Zeitruinen. Alles steht im Bann des neuen Diktators, dem Timekeeper, der nicht nur die Bewohner, sondern auch die Zeitlinien selbst kontrolliert. Das klingt nach schwerfälligem Science-Fiction-Theater, doch die Geschichte bleibt bewusst reduziert. Sie dient nur als roter Teppich für das, was Borderlands am besten kann: Waffenarsenale ohne Sinn und Verstand, aber mit maximaler Lust am Chaos. Der Plot versucht nicht, Shakespeare zu sein – er will nur genug Motivation liefern, damit Spieler sich mit einem Raketenwerfer, der Bananen verschießt, durch Horden von Feinden fräsen.

Die verzerrten Spiegelungen eines Helden in einer Pfütze, eine visuelle Darstellung einer gespaltenen Natur und eines inneren Kampfes.

Ein befreiter Erzählstil

Die Entscheidung, den Plot zu entschlacken, ist ein Glücksgriff. Borderlands 3 litt noch unter einem überdrehten Zwang, Gags im Sekundentakt zu feuern, während der eigentliche Spielfluss stockte. Borderlands 4 atmet. Es gibt Dialoge, die sitzen, und Momente, die tatsächlich eine Bedrohung aufbauen. Doch das Spiel verweigert den Ballast, den viele moderne Actiontitel sich selbst aufladen. Stattdessen richtet es seinen Blick auf das Wesentliche: die Spieler sollen lachen, explodieren und immer wieder staunen, wenn eine Waffe das nächste noch absurdere Projektil abfeuert. Wer also Borderlands 4 kaufen möchte, bekommt kein Drama, sondern ein Festival der Selbstironie – und das ist genau das richtige Versprechen.

Die große Freiheit der Anpassung

Noch wichtiger als die Kulisse ist die neue Freiheit bei der Charaktergestaltung. Wo frühere Teile oft nur optische Abwechslung boten, hebt Kairos die Individualisierung auf ein neues Level. Köpfe, Skins, Tattoos und Rüstungen lassen sich so detailreich modifizieren, dass jeder Spieler eine visuelle Identität aufbaut, die in der Lobby sofort auffällt. Doch die wahre Revolution liegt in den überarbeiteten Skilltrees. Jeder Charakterzweig bietet drei klar unterscheidbare Spezialisierungen, und alle wirken tatsächlich spielbar. Es ist kein mühsames Herumbasteln an marginalen Statistiken, sondern die Wahl zwischen radikal anderen Spielstilen. Ob Nahkampf-Fanatiker, Drohnen-Kommandant oder klassischer Flammenwerfer-Pyromane – jede Entscheidung erzeugt ein unverwechselbares Spielerlebnis. Diese Vielfalt verleiht der Serie eine Tiefe, die man sonst nur in Hardcore-Shootern wie Insurgency: Sandstorm erwartet, nur dass Borderlands das Ganze mit ironischem Augenzwinkern verkauft.

Eine staubige Straße verliert sich in der Unendlichkeit und lädt den Betrachter ein, sich auf eine einsame Reise zu begeben.

Die Waffe als Religion

Man kann Borderlands nicht besprechen, ohne die Waffen zu erwähnen. Das Arsenal in Teil vier ist nicht bloß groß, es ist grotesk. Von Pistolen, die nach jedem Nachladen explodieren, bis zu Scharfschützengewehren, die Kugeln in schwarze Löcher verwandeln, wird Kairos zum Jahrmarkt der ballistischen Absurdität. Doch diesmal steckt mehr Substanz dahinter. Die Balance ist besser, die Herstellerunterschiede spürbarer, die Waffenmodifikationen relevanter. Man fühlt, dass die Entwickler nicht nur das Chaos, sondern auch die Handwerkskunst im Blick hatten. In der Praxis bedeutet das: weniger Grind, mehr befriedigende Experimente. Eine Stunde im Inventar ist keine Qual, sondern fast ein eigenes Minispiel.

Kooperativer Wahnsinn

Trotz aller Neuerungen bleibt die Wahrheit bestehen: Borderlands macht erst im Koop seinen vollen Sinn. Allein ist Kairos ein faszinierender Ort, doch mit Freunden entfaltet er seine Anziehungskraft. Die altbekannte Formel bestätigt sich erneut – alles ist mindestens 20 Prozent spaßiger, sobald ein Mitspieler dabei ist. Die Bosskämpfe wirken dynamischer, die Beuteverteilung erzeugt hitzige Diskussionen, und die unzähligen Skins und Tänze entwickeln sich zu einem eigenen Wettbewerb. Hier zeigt sich die Stärke der Serie: Sie versteht sich nicht nur als Shooter, sondern als sozialer Generator von Anekdoten. Kaum ein anderes Spiel erzeugt so zuverlässig Geschichten, die man Wochen später noch lachend erzählt.

Das warme Licht eines Lagerfeuers wirft tanzende Schatten auf ein nachdenkliches Gesicht, ein Moment der Ruhe inmitten einer zermürbenden Mission.

Ein Versprechen auf Langlebigkeit

Die entscheidende Frage bei einem Loot-Shooter bleibt immer: Wie lange trägt der Inhalt? Nach über hundert Stunden in Kairos ist klar, dass die Entwickler die gleiche Philosophie verfolgen wie bei früheren Teilen. Ständige Events, neue Gebiete und experimentelle Modi sind angekündigt, und die Grundlage dafür ist bereits gelegt. Die Endgame-Aktivitäten sind vielseitiger und weniger repetitiv, die Gegnerpalette abwechslungsreicher, und die Belohnungen fühlen sich lohnender an. Dieses Spiel wird kein kurzes Vergnügen. Es wird zur Routine, zum Abendprogramm, zur digitalen Kneipe für unzählige Spieler. Wer sich heute entscheidet, PS5-Spiele kaufen zu wollen, sollte Borderlands 4 auf die Liste setzen, weil es kein Wochenendprojekt ist, sondern ein langfristiger Begleiter.

Rückkehr zur Form, aber nicht ohne Macken

Natürlich ist Borderlands 4 nicht perfekt. Manche Nebenmissionen bleiben Füllmaterial, manche Witze landen im Nirgendwo. Die technische Performance auf Release wackelt gelegentlich, gerade wenn zu viele Partikeleffekte gleichzeitig explodieren. Doch diese Makel fühlen sich eher wie kleine Narben an, nicht wie offene Wunden. Sie erinnern daran, dass das Spiel ein Produkt von Leidenschaft ist, nicht von steril durchgeplanter Berechnung. Und am Ende übertönen die Explosionen jede kleine Frustration.

Rauch steigt von einem qualmenden Wrack auf, eine Form stillen Gebets für die Gefallenen, ein trauriges Epitaph im Wind.

Persönliches Fazit

Für mich ist Borderlands 4 das ersehnte Comeback einer Serie, die nach dem dritten Teil kurz ins Wanken geraten war. Kairos ist der neue Motor, der alles vorantreibt, und der Timekeeper ist ein Antagonist, der genug Stil hat, um nicht zur Karikatur zu verkommen. Die Balance aus fokussierter Story und entfesseltem Gameplay trifft genau den Ton, den Borderlands immer treffen wollte. Die Anpassungsoptionen, die Waffenvielfalt und der Koop-Spaß machen dieses Spiel zu einem der überzeugendsten Shooter-Erlebnisse dieser Generation. Wer einmal vom Virus befallen ist, wird Monate darin versinken – so wie ich schon wieder, trotz all der Stunden, die ich der Serie ohnehin schon geopfert habe. Borderlands 4 ist keine Revolution, aber es ist eine fulminante Rückkehr zur Stärke, ein Spiel, das Chaos zur Kunstform erhebt und den Spieler nie vergisst, sondern ihn zum Hauptdarsteller des Spektakels macht.